BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Grüne Fraktion Berlin-Lichtenberg

Kleinwindkraftanlagen auf Hochhäusern als Teil der lokalen Energiewende

04.05.22 –

Vorgang: KA/0129/IX 

Das Bezirksamt wurde um folgende Auskunft gebeten:

1. Wie bewertet das Bezirksamt Initiativen von Bauverantwortlichen, im Zuge ihrer Neubauvorhaben auch Anlagen zu errichten, die lokal Strom durch Photovoltaik-,  (Klein-)Windkraftanlagen oder andere erneuerbare Energieträger erzeugen, insbesondere im Hinblick auf Herausforderungen der  Klimakrise und der damit einhergehenden Energiewende?

2. Wie bewertet das Bezirksamt konkret das Vorhaben der HOWOGE bei dem Neubau eines Wohnhochhauses in der Frankfurter Allee 218 vier Kleinwindkraftanlagen auf dem Dach zu errichten? Wie wägt das Bezirksamt das Einfügungsgebot mit anderen Aspekten, wie beispielsweise dem Klimaschutz ab?

3. Wer ist für die Prüfung und Genehmigung von Anträgen zur Errichtung von (Klein-)Windkraftanlagen zuständig und welche rechtlichen Vorgaben spielen dabei eine Rolle?

4. Sind dem Bezirksamt die von der HOWOGE in Auftrag gegebenen Gutachten zu Schattenwurf, Schallemission sowie Naturschutz bekannt? Wie bewertet das Bezirksamt die Gutachten und deren Ergebnisse? Kommt das Bezirksamt zu anderen Ergebnissen? Wenn ja, warum?

5. Was unternimmt das Bezirksamt, um das innovative und zukunftsweisende Vorhaben der HOWOGE am geplanten Standort in der Frankfurter Allee 218 zu ermöglichen?

 

Das Bezirksamt teilt Folgendes mit:

 

zu 1.:

Erneuerbare Energieanlagen sind besonders bei Neubauten sinnvoll und sollten bereits bei der Gebäudeplanung in Varianten untersucht und mit den zuständigen Behörden abgestimmt werden. Eine Anlage sollte einen nachweisbaren Beitrag zur Erzeugung erneuerbarer Energie leisten, nach den gesetzlichen Vorschriften zulässig und für den Standort angemessen sein.

Für das Bezirksamt steht die klimaangepasste Stadt nicht in einem Konkurrenzverhältnis zur Stadtgestaltung, im Gegenteil, bestimmte Maßnahmen werden als Reaktion auf den Klimawandel in den Bebauungsplanverfahren und in den Bauantragsverfahren durchgesetzt.

Die generelle Errichtung von Windrädern auf Wohngebäuden oder anderen Gebäuden in hochverdichteten innerstädtischen Bereichen bedarf grundsätzlich mindestens einer gesamtstädtischen Erörterung. Durch die Änderung der Bauordnung wird zur Energiegewinnung alternativ die Errichtung von Photovoltaikanlagen auf Dachflächen verfolgt. Windkraftanlagen auf Hochhäusern werden im Bezirk Lichtenberg nicht als geeignete Anlagen zur Erzeugung von erneuerbaren Energien eingeschätzt.

 

zu 2. und 3.:

Windkraftanlagen müssen als bauliche Anlagen dem materiellen Bauplanungsrecht und Bauordnungsrecht entsprechen. Für die bauplanungsrechtlichen Genehmigungen sind in Berlin die bezirklichen Fachbereiche Bau- und Wohnungsaufsicht zuständig.

 

Die bauplanungsrechtliche Beurteilungsgrundlage für das Vorhaben bildete der § 34 Abs. 1 BauGB und das darin enthaltende Rücksichtnahmeerfordernis auf die benachbarte Wohnnutzung.

Das Vorhaben ist geeignet, das im § 34 Abs. 1 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme zu verletzen.

 

Das Vorhaben, Errichtung von 4 Windrädern ist planungsrechtlich im Wesentlich deshalb nicht zulässig, weil die Nutzungsart und das Nutzungsmaß (ca. 20 m hohe Windräder auf dem ca. 60 m hohen Gebäude) sich nicht nach § 34 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) in die Umgebung einfügt.

 

Das in § 34 Abs. 1 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme dient dem Schutz der sonstigen in der näheren Umgebung vorhandenen Nutzungen vor nicht hinnehmbaren Beeinträchtigungen. Es trägt als Korrektiv der Tatsache Rechnung, dass die alleinige Orientierung an dem durch die Umgebung vorgegebenen Rahmen nicht immer geeignet ist, bodenrechtliche Konflikte zu vermeiden. Es erfordert eine Berücksichtigung sowohl des Bauherrn als auch der Interessen der Nachbarn.

Die Windenergieanlage beeinträchtigt durch die Größe und Emissionen schutzwürdige Wohnnutzungen auf dem Baugrundstück, in unmittelbarer Nähe, jenseits der Frankfurter Allee und darüber hinaus. Die Wirkung der vier, in ca. 60 m Höhe über Gelände, auf den Gebäudeecken platzierten und darüber ausragenden, sich drehende Rotoren mit ca. 9,80m Durchmesser und einer zusätzlichen Gesamt-Höhe der Windräder von knapp 20m sind für das Wohnumfeld und den Artenschutz signifikant.

Eisabwurf auf die Frankfurter Allee, auf das Bahngelände, auf das Gebäude, auf die Freiflächen des Baugrundstückes und des Nachbargrundstücks durch sich drehende Rotoren können nicht ausgeschlossen werden.

Das Vorhaben hat durch die Höhe und durch die sich drehenden Rotoren eine optisch bedrängende Wirkung auf die Nachbargrundstücke. Die benachbarten Grundstücke sind zudem durch Schattenwurf und Lichtreflexionen der Rotoren beeinträchtigt. Die Gebäude Frankfurter Allee 244-250, Frankfurter Allee 229-231 und Frankfurter Allee 233-241 sind bereits durch den Schattenwurf des genehmigten Hochhauses Q 218 in der Nutzung beeinträchtigt. Eine weitere Verschattung dieser Gebäude ist den Bewohnern dieser Grundstücke nicht zumutbar.

Im Gebäude Frankfurter Allee 218 können die Bewohner insbesondere durch Schallemissionen beeinträchtigt werden, die durch die Strömung um die Rotorblätter, durch die Vibrationen der Rotoren und durch Geräusche des Getriebes entstehen. Luftschall und Körperschall mit Tonalität übertragen sich auf den Baukörper, zusätzlich über die Tragkonstruktion.

Da für das Wohnhochhaus die wohnungsnahe Freifläche auf dem Dach nachgewiesen werden sollten, ist die beantragte Errichtung der vier Windräder auch hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dieser Erholungsfunktion zu hinterfragen.

Bauordnungsrechtlich unterliegen Windkraftanlagen wegen der gebäudeähnlichen Wirkung den Abstandsvorschriften. Sie stellen keine untergeordneten Bauteile i.S. von § 6 (6) Nr.1 BauOBln dar, sie sind auch keine baulichen Anlagen, die gem. § 6 (7) BauOBln an der Grundstücksgrenze errichtet werden können. Abstandsflächenpflichtig ist vor allem der Rotationskörper, der durch die „Scheibe“ der Rotorflügel gebildet wird.

Die erforderlichen Abstandsflächen der Windkraftanlagen wurden im als Bauvorlage eingereichten ÖbVI-Lageplan auch korrekt dargestellt.

Die Abstandsflächen liegen teilweise auf dem eigenen Grundstück, sowie vor der Mittellinie auf öffentlichen Verkehrsflächen und auf Nachbargrundstücken.

 

zu 4.:

Dem Bezirksamt sind die Gutachten zu Schattenwurf, Schallemission sowie Naturschutz bekannt. Sofern diese Gutachten Bestandteile des Bauantragsverfahrens waren, wurden diese bei der bauplanungsrechtlichen Beurteilung berücksichtigt. Das Prüfergebnis ist unter 2. wiedergegeben. Ergänzend dazu wird nachfolgend auf die einzelnen Gutachten eingegangen.

 

Die „Analyse periodischer Schattenwurf von vier Kleinwindanlagen auf dem Wohnhochhaus Q218“ der Key Wind Energy GmbH vom 01. November 2021 wurde den Bauantragsunterlagen beigefügt.

Die benachbarten Grundstücke sind durch Schattenwurf und Lichtreflexionen der Rotoren beeinträchtigt. Die Gebäude Frankfurter Allee 244-250, Frankfurter Allee 229-231 und Frankfurter Allee 233-241 sind bereits durch den Schattenwurf des genehmigten Hochhauses Q 218 in der Nutzung beeinträchtigt. Eine weitere Verschattung dieser Gebäude ist den Bewohnern dieser Grundstücke nicht zumutbar.

Das Gutachten lässt eine abschließe Beurteilung der Wahrung der gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse gemäß § 34 Abs. 1 BauGB nicht zu.

 

Das Gutachten „Schallimmissionsschutz gebäudetechnische Anlagen + Windkraft“ der Ritter Bauphysik GmbH vom 07. Juli 2021 wurde den Bauantragsunterlagen beigefügt.

Der Immissionsgutachter legt für die Bemessung der Immissionsrichtwerte gemäß technischer Anleitung fälschlicherweise die Gebietseinstufung eines Misch-/Kerngebietes fest. Da das Vorhaben sich überwiegend auf Wohnbebauung auswirkt, wäre die Gebietseinstufung „Allgemeines Wohngebiet“ korrekt.

Der Gutachter ermittelt eine rechnerische Überschreitung des Immissionsrichtwertes für Misch-/Kerngebietes während der Nacht am eigenen Gebäude. Deshalb wird die Lüftung während des Nachtzeitraumes über die Fenster in Kippstellung bei der Berechnung im Gutachten fälschlicher Weise ausgeschlossen.

Laut Gutachten soll die Anlage nach Aussage des Anlagenplaners über ein Schalldämmpaket verfügen und „extra leise“ sein. Ein Nachweis hierfür wurde nicht vorgelegt.

Das Gutachten enthält zudem keine Aussagen zum Luftschall und Körperschall mit Tonalität, der sich auf den Baukörper, zusätzlich über die Tragkonstruktion überträgt.

Aus den genannten Gründen lässt das Gutachten eine abschließende Beurteilung der Wahrung der gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse gemäß § 34 Abs. 1 BauGB nicht zu.

 

Das Gutachten des Landschaftsarchitekten Jens Scharon vom September 2017 „Potenzialeinschätzung zum Vorkommen geschützter Arten und dem Vorhandensein von ganzjährig geschützten Lebensstätten auf dem Grundstück Frankfurter Allee 218“ wurde den Bauantragsunterlagen für die Windkraftanlage beigefügt. Dieses Gutachten untersucht die Flora und Fauna auf dem Baugrundstück im Zusammenhang mit der Errichtung des Gebäudes. Der Gutachter kommt zu dem Ergebnis, dass die Entfernung von Gehölzen gemäß § 39 (5) Satz 2 BNatSchG außerhalb der Brutzeit erfolgen muss. Den Freibrütern könne durch die Schaffung von Abstandsgrün (Hecken > 2m breite), Gebüsch- und Baumgruppen Ansiedlungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Das (dauerhafte) Vorkommen weiterer geschützter Arten, wie dem besonders geschützten Igel (Erinaceus europaeus) und die Zauneidechse (Lacerta agilis) werden auf der zur Errichtung des Gebäudes vorgesehenen Fläche ausgeschlossen. Das Gutachten ist auf die Errichtung der Windkraftanlagen in 80 m Höhe nicht anwendbar.

Eine entsprechende faunistische Untersuchung der Fauna in Höhe von ca. 80 m über dem Gelände wurde nicht vorgelegt.

 

zu 5.:

Die Errichtung der geplanten Windkraftanlagen ist auf dem Hochhaus in der Frankfurter Allee 218 bauplanungsrechtlich unzulässig. Das Bezirksamt ist als Teil der öffentlichen Verwaltung an die Anwendung der bestehenden Rechtsvorschriften gebunden.

Kategorie

Anfrage | Klimaschutz, Umwelt, Grünflächen | Wohnen und Stadtentwicklung